
Lüneburg. Falschaussage, Fahren ohne Führerschein, Diebstahl und Beleidigung, aber auch Betrug, Steuerhinterziehung, Raub und sexuelle Nötigung: Vor dem Lüneburger Amtgericht werden jeden Tag neue Fälle verwandelt. Dahinter stecken Menschen mit den verschiedensten Lebens- und oft auch Leidensgeschichten. Richterinnen und Richter verhandeln fast schon im Akkord. Die Lünepost hat einen Tag lang Strafprozesse begleitet.
Der Spanner
mit der Kamera
Gleich morgens um 9 Uhr wird Mohammed S. in den Verhandlungssaal 232 gerufen. Es geht um eine „Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen“. Der junge Syrer soll intime Fotos von Frauen angefertigt haben. Eine Arabisch-Dolmetscherin übersetzt die Anklageschrift des jungen Vertreters der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte versteht dennoch wenig – er hätte viel lieber einen Übersetzer für Kurdisch gehabt. Der Richter löst es pragmatisch, spricht einfach langsamer. So klappt die Verständigung auch auf Deutsch.
In drei Fällen soll sich S. in Lüneburger Lokalen auf die Damentoiletten geschlichen und mit seinem Handy über und unter einer Trennwand hindurch Bilder von Besucherinnen der Nachbarkabine gemacht haben. Das blieb zweimal unbemerkt, beim dritten Mal, in der Stintkneipe Burlala, bemerkte eine 30-Jährige das Handy von Mohammed S.. Sie stürmte aus der Kabine, machte ihrerseits ein Foto von S. und zeigte ihn an. Mit diesem Bild und über die Rückwärtssuche im Internet stießen Ermittler später auf die Social-Media-Konten des Mannes.
Zwei Jahre nach der Tat hat die Frau immer noch ein ungutes Gefühl in der Öffentlichkeit, geht nur noch ungerne feiern. Das schilderte sie im Zeugenstand. S. entschuldigte sich bei ihr, schob den Vorfall auf seinen Alkoholkonsum. Doch so harmlos, wie der 26-Jährige sich gab, scheint er nicht zu sein. Denn auf dem sichergestellten Handy des Mannes fanden Spezialermittler 80.000 (!) Fotos und 3000 Videos. Darunter auch Kinderpornografie und Videos, die den Angeklagten beim Drogenkonsum zeigen. Während diese Straftaten Bestandteil anderer Verfahren werden könnten, kassiert Mohammed S. für die Intimfotos auf der Burlala-Toilette eine Geldstrafe. 1300 Euro muss der Syrer in Raten zahlen. Die Belehrung des Richters gibt es kostenlos: „Das macht man nicht! Das ist widerlich und zeigt, dass Sie keinen Respekt vor den Frauen und deren Intimbereich haben“, gibt dieser dem Verurteilten mit auf den Weg.
Der schlecht
gefälschte Führerschein
Direkt im Anschluss muss sich der Bleckeder Dirk W. vor demselben Richter verantworten. Dem 40-Jährigen wird Fahren ohne Führerschein und Urkundenfälschung vorgeworfen. Obwohl W. noch nie eine Fahrschule von innen gesehen hatte, kaufte er sich einen VW und fuhr mit diesem immer wieder durch Bleckede und die Umgebung. Für den Fall einer Kontrolle hatte er vorgesorgt. Knapp 1000 Euro bezahlte er im Internet für einen gefälschten „Lappen“. Das falsche Original bekam er nie zugeschickt, stattdessen speisten ihn dubiose Dokumentenhändler mit dem Handyfoto einer schlecht gemachten Fälschung ab. Dirk W. nutzte das Bild trotzdem, zeigte es bei mehreren Kontrollen und auch nach einem Unfall vor. Die vorgeworfenen Straftaten räumte der Angeklagte fast alle ein: „Was bringt‘s?“, fragte er, „ich kann es eh nicht abstreiten.“ Eines war dem Bleckeder aber wichtig: „An dem Unfall hatte ich keine Schuld.“ Er fühlte sich so sicher, dass er seinen Wagen einmal sogar direkt zur Polizei steuerte, um dort in einer anderen Sache auszusagen. Die Beamten kannten ihren „Pappenheimer“ natürlich längst. Als er sein Handy mit dem Foto des falschen Führerscheins abgeben musste, kaufte er sich dieselbe Fälschung gleich nochmal. Natürlich wurde W. wieder erwischt.
Sieben von acht Vergehen gibt der Angeklagte zu, einen strittigen achten Fall lassen Gericht und Staatsanwaltschaft fallen. Dirk W. wird zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Steigt er in den nächsten drei Jahren nochmal hinters Lenkrad, wandert er ins Gefängnis. W. beteuerte zwar: „Ich fahre nicht mehr“. Bei der Bleckeder Polizei will man dem mehrfach vorbestraften Familienvater jedoch nicht so recht glauben. „Die Beamten wissen schon, dass Sie sich ein neues Auto gekauft haben …“, gibt der Richter zum Abschluss einen Wink mit einem besonders auffälligen Zaunpfahl.
Der Betrüger mit den Schrottautos
Um Betrug geht es nach der kurzen Mittagspause – allerdings ohne den Angeklagten Khaled H. Denn wie die Richterin fast schon erwartet hatte, lässt dieser sich nicht blicken. Die Wartezeit auf den ersten Zeugen überbrückt das Gericht mit den neuesten News aus der Branche. Einen pünktlich erschienenen Zeugen muss die Richterin wieder nach Hause schicken. Er hatte beim Angeklagten einen Gebrauchtwagen mit frischem Tüv gekauft. „Der war nach zwei Wochen Schrott, 5000 Euro sind weg“, ärgert er sich. Während dem Verkäufer das Urteil per Post zugestellt wird, hofft dessen Opfer, auf dem Zivilweg noch etwas vom Geld wiederzusehen. Ob‘s gelingt? Fraglich, denn gegen Khaled H. laufen noch weitere Straf- und Steuerverfahren.
Parallel zu diesen drei Fällen werden an diesem Tag noch drei weitere Prozesse geführt. Auch diese, es geht um Steuerhinterziehung und Beleidigung, sind Alltag im Amtsgericht. Und schon am kommenden Montag wartet auf Richterinnen und Richter, Schreibkräfte und die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft der nächste Marathon-Tag. Morgens räuberischer Diebstahl und sexueller Übergriff, mittags Betrug und nachmittags ein besonders schwerer Fall des Diebstahls …