
Lüneburg. „Auf ein Wort“ mit Bundeskanzler Olaf Scholz schnacken, das wollten vorigen Samstag viele Lüneburgerinnen und Lüneburger. Schon eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung mit dem Bundeskanzler in der Ritterakademie war die Warteschlange lang.
„Ich will mir ein Bild von dem Bundeskanzler machen. Wie redet er wirklich, wie ist seine Mimik“, sagt ein Wartender. Auch andere Besucher erzählen, dass sie neugierig sind, wie der Kanzler so „rüberkommt“. Luis Bosse und Jarne Brandt von den Jungen Sozialen beschäftigt vor allem eine Frage: „Warum sieht die Bafög-Reform keine Erhöhung vor?“
Während die Besucherinnen und Besucher geduldig auf Einlass warten, formiert sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite Protest: Pro-palästinensische Demonstranten fordern lautstark, die Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen. Auf einem Banner steht: „Jede Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Freiheit für Palästina.“
Unterdessen startet unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen der Einlass. Zuvor haben Security und Sprengstoff-Spürhunde die Ritterakademie genauestens überprüft. Als die Gäste reindürfen, müssen alle, auch Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch, eine ausführliche Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Der Saal füllt sich schnell. Natürlich sind viele lokale SPD-Genossinnen und -Genossen da: Rettmers Ortsvorsteherin Carmen Maria Bendorf, Andrea Schröder-Ehlers, Landtagsabgeordneter Philipp Meyn, Samtgemeindebürgermeister Christoph Palesch … Auch Landrat Jens Böther (CDU) ist im Saal.
Fast pünktlich um kurz nach 12 Uhr schreitet Kanzler Scholz, begleitet von mehreren Sicherheitskräften, in den Saal. SPD-Bundestagsabgeordneter Jakob Blankenburg begrüßt „Olaf“ und erklärt die Veranstaltung: Die Gäste können sich melden und ihre Fragen spontan stellen. Sie wurden vorab nicht ausgewählt, wie es im Vorfeld einige Kritiker via Social Media vermutet hatten.
Es geht um Grundsicherung, Bahnausbau, Taurus und Bafög
Die Fragerunde eröffnet Eleonore Tatge, die Vorsitzende des Kinderschutzbundes. „Was tun Sie und die SPD, damit wir eine gerechte, einfache und ausreichende Kindergrundsicherung bekommen?“, will die ehemalige Hauptkommissarin wissen. Der Kanzler holt aus, beschreibt, was wichtig sei: ausreichend Krippen- und Kita-Angebote, ein gutes Bildungssystem. „Das Beste ist, wenn Eltern Arbeit haben und Geld verdienen.“ Die finanzielle Unterstützung habe die Regierung geschaffen: „Wir haben für die höchste Kindergelderhöhung seit vielen Jahrzehnten gesorgt.“ Das gleiche gelte für den Kinderzuschlag für finanzschwache Familie. „Was die Kindergrundsicherung angeht: Es wird zurecht sorgfältig diskutiert, ob der Aufwand Sinn macht, ob es sinnvoll ist, eine Behörde für alle Belange einzurichten“, sagt Scholz. Dann kommt schon die nächste Frage, es geht ums Gesundheitswesen. So folgt Thema um Thema – jedes wird von Scholz mit Hintergrundwissen angefüttert und beantwortet.
Auch der Landrat kann seine Frage zum Bahnausbau von Hamburg über Lüneburg nach Hannover loswerden. Scholz: „Ich kenne die Problematik noch aus Hamburg-Zeiten. Es werden neue Strecken nötig sein, aber die werden wir so schnell nicht hinbekommen.“
Es gibt Fragen zur Schuldenbremse, zur Klimapolitik, zur Landwirtschaft, zur Einführung einer Zuckersteuer. Auch kritische Fragen sind erlaubt: So sorgt sich Polizist und Gewerkschafter Sebastian Gruner um die innere Sicherheit.
Eine Krankenschwester möchte wissen: „Warum muss ich von meinen Steuern so viel für Rüstungszwecke abgeben? Das ist Geld von uns für Waffen, mit denen Menschen getötet werden.“ Auch hier holt Scholz weit aus: „Wir müssen ganz ehrlich über die Lage in der Welt reden.“ Früher habe die Regierung drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes für Rüstung und Verteidigung ausgegeben. Mit dem Mauerfall seien die Ausgaben runtergefahren worden. Jetzt investiere man zwei Prozent. „Wenn Russland sagt, es zählt Macht, nicht Recht, dann können wir nicht einfach zusehen als Land und als EU-Partner.“ Bei einer weiteren Frage zum Ukraine-Krieg wird Scholz ganz konkret: „Deutschland hat so viele Waffen geliefert wie kein anderes europäisches Land. Wir sind das Land, das nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine ist.“ Man werde weiterhin alles tun, um die Ukraine zu unterstützen, aber: „Man muss auch besonnen sein und innehalten“, meinte Scholz in Hinblick auf die geforderten Taurus-Marschflugkörper. „Es gibt Waffen, die kann man liefern. Es gibt Waffen, die kann man nur liefern, wenn man über alles, was damit gemacht wird, die Kontrolle behält. Taurus ist ein Marschflugkörper, der 500 Kilometer weit fliegen kann.“ Der sei so präzise, da könne man direkt in ein Wohnzimmer steuern. „Das ist nur verantwortlich, wenn wir die Kontrolle über die Zielsteuerung behalten. Und das dürfen wir nicht, weil dann wären wir beteiligt an dem Krieg.“ Und noch etwas schließt der Bundeskanzler aus: „Es werden weder deutsche noch Nato-Soldaten in die Ukraine gehen.“
„Nicht wegen der Chinesen bei TikTok“
Die für Scholz als auch für die Zuhörer entspannteste Frage hatte Bleckedes Jugendpfleger Maik Peyko von „seinen“ Kindern mitgegeben bekommen: „Warum sind Sie bei Tiktok?“ Olaf Scholz grinst bei dieser Frage noch breiter als zuvor: „Wegen der jungen Leute in Deutschland. Ich bin da nicht wegen der Chinesen beigetreten“, stellt er klar. „Man muss, wenn es irgendwie geht, auf allen Kommunikationskanälen mitmachen.“ Das würden einige Leute mit ihm zusammen erledigen.
Den Zuschlag für die allerletzte Frage bekommen dann die jungen Sozialdemokraten Luis Bosse und Jarne Brandt. Der Kanzler beantwortet ihre Frage nach der ausgebliebenen Bafög-Erhöhung eher ausweichend: „In dieser Reform ist nun mal keine Erhöhung vorgesehen. Wir müssen sehen, wie wir dazu beitragen können, den Kreis der Berechtigten zu erweitern.“ Bosse und Brandt stellt das nur halb zufrieden. „Die Antwort war ein wenig einfach formuliert, da ist noch Luft nach oben“, sagt Brandt. Er hofft nun, dass die Erhöhung zur nächsten Reform kommt.
Fazit vieler Gäste nach fast zwei Stunden Frage-Antwort-Marathon: Der Kanzler hat souverän und ausführlich auf die Fragen geantwortet. Kritiker räumen aber auch ein, dass manch eine Antwort nicht immer den nötigen Inhalt getragen hat.