
Lüneburg. Susanne Rust hat eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung für sich selbst. Als Regionalleiterin in der Pharmaindustrie hat die heute 56-Jährige bereits viel Verantwortung übernommen, viel Geld und viele Flugmeilen auf ihrem Konto gehabt. Doch weil sie irgendwann „nur noch um die Welt gerast“ ist, machte sie ihr Ehrenamt kurzerhand zum Vollzeitberuf. „Ich wollte einfach das machen, worauf ich wirklich Lust hatte“, sagt Susanne Rust. Sie ist die neue Chefin des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), Kreisverband Lüneburg, und seit Kurzem seit 100 Tagen im Amt.
Ein Erste-Hilfe-Kurs war damals, vor rund 20 Jahren, die Initialzündung. „Wir sollten den Kurs von der Arbeit aus machen. Und der hat bei mir im Kopf eine Art Spaltung ausgelöst. Ich wusste durch meine Tätigkeit nämlich viel über Krankheiten und Medikamente, aber nicht, wie ich einem Menschen im Notfall helfen kann.“
Der Kurs hat das nicht beheben können, gab es doch noch so viel mehr zu lernen. Susanne Rust klettert die ASB-Leiter hoch, macht die Ausbildung zur Sanitätsdiensthelferin, dann zur Rettungssanitäterin und dann zur Rettungsassistentin. Alles ehrenamtlich, alles an Wochenenden und an freien Tagen.
Ihr Vorgänger beim ASB, Harald Kreft, versuchte, sie zum Bleiben zu überreden. „Ja, der hat lange gebettelt“, schmunzelt Susanne Rust. „Und erst habe ich gedacht, die Diskrepanz zu dem, was ich damals noch verdient habe, wäre einfach viel zu groß. Doch dann habe ich Ja gesagt und fuhr plötzlich hauptberuflich als kleine Rettungsassistentin den RTW – und kam abends total glücklich nach Hause.“
2015 gibt sie den Schichtdienst auf. Ein schwerbehindertes Pflegekind tritt in ihr Leben und in das von ihrem Lebensgefährten. Prioritäten ändern sich und Susanne Rust wechselt in die Verwaltung beim ASB, die sie später auch leitet.
Unterkünfte als Bewährungsprobe
„Und dann kamen die Flüchtlinge.“ Sie erhält die Verantwortung, die Flüchtlingsunterkunft in Woltersdorf (Kreis Lüchow-Dannenberg) aufzubauen und zu betreuen. „Innerhalb von drei Tagen mussten wir das stemmen. Erst hieß es, es werden 125 Menschen kommen, dann brachten die Busse 420 Menschen.“ In diesen Momenten, sagt die ASB-Chefin, weiß im Team jeder, was zu tun ist. „Das geht mit einem Schnips, und schon läuft es rund. Das ist wirklich toll und ich finde, darauf können wir auch stolz sein.“ Sowohl Haupt- als auch Ehrenamtliche seien einfach ein ganz großes Pfund. „Darauf kann sich der Landkreis wirklich verlassen.“
Seit dem 1. April leitet Susanne Rust nun den Arbeiter-Samariter-Bund in Lüneburg. „Natürlich gab es da auch Vorbehalte. Schafft die das? Wir haben dann erst einmal mit dem ganzen Team in Lüneburg das Escape-Spiel gespielt. Und mittlerweile sind wir längst toll zusammengewachsen.“
In ihre Amtszeit fallen nun neue Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsprozesse. „Wir wollen die Ökonomie, die Ökologie und den sozialen Faktor in Einklang bringen. Das fängt damit an, dass die Dienstwagen alle auf E-Autos umgestellt werden sollen. Wir wollen auch für die Zukunft ein moderner Dienstleister sein.“
Noch etwas liegt der neuen Chefin am Herzen: „Die Befähigung der Bevölkerung.“ Denn obgleich der Landkreis Lüneburg gut aufgestellt sei, was Rettungsdienst, Krankentransport und Katastrophenschutz angeht, könne jeder einzelne noch dazulernen. „Was sollte ich im Falle von Stromausfall oder Unwetter bedenken, was sollte ich als Vorrat im Haus haben? Wie kann ich Mitmenschen, die im Rollstuhl sitzen, transportieren und aus dem Bett in den Rollstuhl helfen? Solche Fragen würden wir gerne künftig in kostenfreien Kursen beantworten.“
Susanne Rust scheint die Energie nicht auszugehen. „Mit einem Wellness-Wochenende würde man mir wirklich keine Freude machen“, lacht Rust, die in Immensen bei Hannover lebt und oft eineinhalb Stunden pro Strecke pendelt. Viel lieber geht sie zum Entspannen zu ihrem Pferd Flori.