
Lüneburg. „So langsam geht‘s wirklich um die Wurst!“ Wer in den vergangenen Tagen mit Alexander Eissele sprach, konnte die zunehmende Nervosität fast jedem seiner Sätze entnehmen. Eissele (52) ist Klarinettist und Berufsmusiker. Seit 25 Jahren Mitglied des Orchesters im Theater. Nebenbei ist der quirlige Schwabe auch noch Dirigent – und gewissermaßen das inoffizielle Sprachrohr der Lüneburger Symphoniker. Dem 29-köpfigen internationalen Orchester droht wie berichtet das Aus. Weil das Theater rote Zahlen schreibt, für die es laut eigener Aussage gar nichts kann.
Die Situation sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass vom Land zwar Zuschüsse, aber keine Ausgleichszahlungen für gestiegene Tarife gekommen seien. Das berichtete Intendendant Hajo Fouquet bereits vorige Woche im Stadtrat.
Hintergrund: Das Land trägt 50 Prozent der Kosten des Theaters, die andere Hälfte kommt zu 25 Prozent von der Stadt und zu 75 Prozent vom Landkreis.
Eissele: Keines der Plan-Szenarien ist eine Alternative
Im Kreistag warb nun am Donnerstag ein sichtlich angespannter Alexander Eissele um Unterstützung. 15 Minuten Redezeit hatte man ihm eingeräumt. Die reichten kaum für sein achtseitiges Manuskript. Der Klarinettist stellte noch einmal die drei Zukunftsszenarien der Beraterfirma Actori vor. Das sind, wie berichtet, die Verkleinerung des Orchesters von 29 auf 19 Mitglieder, seine Schließung – oder sogar der komplette Wegfall der Musiksparte des Lüneburger Theaters. Wie Fouquet im Stadrat machte auch Eissele im Kreistag deutlich, dass keines dieser Szenarien eine echte Alternative sei. Die Reduzierung sei gar die „unwürdigste aller Möglichkeiten“ und „für das Orchester nur ein verlängerter Tod“. Eine Insolvenz würde nur vertagt.
Das bestätigen auch die Prognosen von Actori. Danach werde zwar kurzfristig gespart, in zehn Jahren liege das jährliche Defizit aber wieder bei einer knappen Million Euro. Spätestens dann drohe das Aus. „Was einmal weg ist, kommt nicht wieder“, war Alexander Eissele überzeugt. „Ab jetzt ist die Politik und sind die Geldgeber gefordert. Denn wir als Theater haben keine Schuld an dieser Situation. Im Gegenteil: Unsere Arbeit ist beeindruckend.“ Zuschauerrekorde und eine auch in schweren Zeiten beeindruckende Effizienz würden das Orchester auszeichnen. Das hätte auch das Actori-Gutachten bestätigt. Statt zu reduzieren, sollte man besser investieren, sagte Eissele. Ein „Szenario vier“, wie er es nannte, also den Erhalt des Status Quo, ist für ihn nur eine von zwei möglichen Lösungen. Besser sei ein „zukunftsweisendes“ fünftes Szenario, „bei dem die Spirale nur in eine Richtung zeigen kann: nach oben.“
Landrat Jens Böther und Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch sehen für diese beiden Szenarien wenig realistische Chancen. Schon jetzt sei abzusehen, dass für die aktuelle Spielzeit 1,3 Millionen, für 2027/28 dann schon 2,2 Millionen Euro fehlen werden. Tendenz steigend.
„Der Kulturminister läuft beim Finanzminister gegen die Wand“
Und: Während die Schulden der Kommunen insgesamt rasant steigen, habe das Land Niedersachsen nach wie vor einen ausgeglichenen Haushalt. Laut Böther sei allein eine Viertelmilliarde Euro für die elf Landkreise im ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg aufgelaufen. „Das Land leitet die Verschuldung auf die Kommunen um“, berichtete Böther und erhielt bestätigendes Kopfnicken von OB Kalisch. Für stärkere Investitionen ins Theater fehlten da schlichtweg die Argumente.
Außerdem könne man sich auf Aussagen aus Hannover nicht verlassen. Das sagten Intendant Fouquet und die beiden Verwaltungsspitzen unisono. Böther: „Der Kulturminister zeigt sich immer wieder sehr willig, aber wenn er beim Finanzminister fragt, läuft er gegen die Wand.“ Erst im Februar war Kulturminister Falko Mohrs (SPD) zum Ortsbesuch in der Lüneburger Bühne, hatte hier Unterstützung zugesagt. 300.000 Euro Soforthilfe hatte das Theater daraufhin zwar erhalten. Viele Löcher konnte das Haus damit nicht stopfen. Nun hängt vieles daran, ob und wie weit Finanzminister Gerald Heere (Grüne) die Schatulle öffnet.
Wie geht es nun weiter? „Ziel ist die Entscheidung zum Haushaltsabschluss“, sagte Claudia Kalisch für die Stadt und auch Landrat Böther erwartet eine Entscheidung „spätestens im letzten Kreistag vor Weihnachten“.
„Wir werden liefern, wenn man uns lässt“
Die Zeit drängt, denn die Zielvereinbarung der kommunalen Theater in Niedersachsen mit dem Land läuft zum Jahresende aus. Und die Tarifsteigerungen, so Böther, seien nach wie vor nicht abgebildet.
Alexander Eissele und seine Kolleginnen und Kollegen von den Symphonikern hoffen weiter. Immerhin, so der Klarinettist: „Wir als Theater haben keine Schuld an dieser Situation. Im Gegenteil: Unsere Arbeit ist beeindruckend!“ Man arbeite erfolgreich und effizient. Eissele versprach für die Zukunft: „Wir im Orchester werden liefern, wenn man uns lässt.“ Erstmal geht es aber weiter um die Wurst.